Zwergenaufstand

22. November 1990 | Category: Freier Fall

Küß mich, Cheri!

Küß mich!

Sanfte Lippen auf meinem Mund, langsam fordernder werdend.

Komm doch! Nun mach schon!

Jetzt heißt es liegen bleiben, bloß nicht bewegen. Genießen. Ein mörderischer Schwall schlechten Atems dringt in mich ein. Ich erkenne eine verheerende Kombination aus Dortmunder-Union-Dünnbier und Marlboro-Lights. Ganz schwach zwar, aber für den Kenner noch eben erkennbar, Bahlsens-Riffels-Picanto-Chips. Es gibt noch Hoffnung. Ich will etwas sagen, z.B., daß mir mittlerweile auch noch aufgeweichte Chips-Rest-Krümelchen eingepustet werden, die sich wahrscheinlich unter unten-links-7 gesammelt hatten aber meine Initiative wird durch einen plötlich auftretenden, massiven Druck auf dem Brustkorb gelähmt, so daß “Pffffffffffff” einer meiner weniger überzeugenden Beiträge der letzten Jahre ist. ‘Die Mafia’, schießt es mir durch den Kopf. Jetzt haben sie mich also doch noch gekriegt. Bestimmt zehn Jahre ist es jetzt her, daß ich dem kleinen Marco Farnese auf dem Pausenhof seinen begreiflichen Wunsch nach Taschengelderhöhung abschlug. “Warte nur… meine Familie wird dich..-” waren seine Worte als ich ihn dafür seine Bleistifte aufessen ließ. Danach, Jahre der Angst. Fast schon befreiend, daß die Ungewißheit endlich vorbei ist. Das also soll Marcos Rache werden. Gleich wird er mir Filzstifte anbieten. ‘Aber Du ißt zuerst das leckere Fruchtfleisch (die Miene) und dann erst die besonders vitaminaltige Schale’. Wieder dieser rythmische Druck auf meinem Brustkorb. Dazu stärker werdende Schläge auf die Wangen. Höllische Schmerzen im linken Knie. Zusammen mit den Schmerzen kommt die Erinnerung. Starkes Team die beiden….

…Das also ist er. Mein direkter Gegenspieler. Groß ist er ja nicht. Versucht wohl gerade, sich einen Oberlippenbart wachsen zu lassen. So, gleich kommt der Anpfiff. Aber vorher noch schnell den ersten Zweikampf gewinnen.

Hey Kleiner! Du hast da noch ein bißchen Nutella unter der Nase. Mach das mal weg!

Ein wütendes Augenpaar funkelt mich an. Der Schiedsrichter dreht sich dem Mittelkreis zu, um das Spiel anzupfeifen. Ich nutze die Gelegenheit um dem Zwerg in den Hintern zu treten. Verstecktes Foul; ich liebe dieses Spiel.

Der Zwerg bekommt den Ball, rennt auf mich zu. Eine Bodenunebenheit muß ihm die Sicht genommen haben, denn er rennt direkt in mich rein. Ich trete ihm kräftig gegen das Schienbein und lasse mich gleichzeitig mit schmerzverzerrtem Gesicht und lautem Geheul fallen. Der Schiedsrichter nestelt an seinem Trikot, sucht die geignete Karte. Recht so. Das muß mindestens gelb geben für den Zwerg. Fähiger Mann, der Schiedsrich..- Teufel, was macht dieser Schwachkopf. Gibt mir gelb. Mir. So eine Ungerechtigkeit. Aber das Spiel geht weiter. Allerdings nicht mehr lange für den Zwerg, wie ich mir vorgenommen habe. Jetzt hab’ ich den Ball. Spurt in Richtung Tor. Nr.1 aussteigen lassen, Nr.2 ebenso. Tja, Jungs. Kauft euch lieber einen Angelkasten. Vor mir nur noch der Zwerg und der Torwart. Beide rennen, Kriegsgeschrei ausstoßend, auf mich zu. Ich beschließe, den Ball über die beiden hinwegzuheben, um dann mit gestreckten Beinen in Sie hineinrutschen zu können. Stollenschuh und Gesicht der Gegener zu einer unteilbaren Einheit verschmelzen lassen. Aber irgendwas läuft verkehrt. Ich komme ins Straucheln. Die beiden rasen auf mich zu. Dann wird es schwarz um mich…

Endlich kriege ich die Augen auf. Um mich herum dreht sich alles. Ich hefte meinen Blick an das Dekolltee einer Mitdreißigerin, die sich zu mir heruntergebeugt hat.

Was ist passiert? frage ich die Brüste.

Du warst bewußtlos,  und Du hast ein steifes…-

Oh mein Gott, Sie hat es bemerkt.

…Knie.

Puuhh. Glück gehabt.

Wir müssen Dich in’s Kranknhaus bringen. Aber vorher ist da noch jemand, der Dir etwas sagen will!

Die kleine miese Zwergenratte steht vor mir und macht ein schuldbewußtes Gesicht.

Hey, Mann. Das tut mir so leid. Ehrlich!

Was soll’s. Schwamm drüber, hätte doch jedem von uns passieren können!

Der Typ schickt sich an wegzugehen. Mit dem gesunden, rechten Bein hake ich nach. Der Zwerg fliegt drei Meter weit und landet schreiend.

Siehst Du, ich hatte recht. Kann echt jedem von uns passieren!

Jetzt kommt auch noch Lisa, meine bildhübsche, engelsgleiche Freundin, auf mich zugerannt.

Winni, Winni, ich hab’ alles gesehen. Wie fühlst Du Dich…-

Ach, eigentlich ganz..-

…jetzt so ohne Freundin. Das wollte ich Dier nämlich schon lange sagen. Ich und der Zwerg, naja, eigentlich heißt er Matthias, also, wir sind jetzt ein Paar!

Scheißtag. Auf ins Krankenhaus…


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