Im Krankenhaus

22. November 1990 | Category: Freier Fall

Was soll man sagen über Krankenhäuser. Meist entspricht bereits die Architektur genau der Vorstellung, die man sich immer vom KGB-Hauptquartier gemacht hat. Lange, linoleumbeschichtete Gänge sorgen für das, was uns der Raumaustatter mit ‘Atmosphäre’ beschreiben würde.

Hektisches Treiben vor dem Eingang. Pflegepersonal, allesamt mit am Gürtel befestigten Signalpiepern – oder sind es Faser, Scottie ? – reißen sich um mich. Dann, in der Aufnahme, bestätigt sich die Vermutung. Ein als Krankenschwester verkleideter KGB-Offizier beginnt mit dem Verhör.

Name, Vorname, Alter…?

Kalter Schweiß steht mir auf der Stirn. Fieberhaft arbeitet mein Gehirn, überlegt sich Alternativen, Auswege.

Rühmann, Heinz, Alter ca. 100 ! – so das brillante Ergebnis meiner Überlegungen.

Gut, Herr Rühmann. Wir werden jetzt einige Untersuchungen bei Ihnen vornehmen und dann sehen, ob wir Sie hierbehalten müssen. Ziehen Sie doch schon einmal das hier an !

Sie reicht mir ein grünes Hemdchen, daß ob seiner Länge innerhalb der nächsten halben Stunde die fesche Lola aus mir machen dürfte. Ich hab’ verstanden. Erst einem Mann die Würde nehmen, um ihn dann mürbe zu machen und dann – Gehirnwäsche.

Nach einer langen Reihe von Tests und Untersuchungen findet sich eine Ärztekommission an meinem Krankenlager ein. Die ‘heiligen drei Könige’, wie mir die Schwester respektvoll zuflüstert. Ohne Geschenke oder andere Mitbringsel bin ich nicht so leicht zu überzeugen.

Tja, das Knie ist hin!

Wie bitte? Was sollte denn das jetzt sein? Nichts von semi-hypo-physiolactitischer-Endolariae oder so ähnlich. Kein stundenlanger unverständlicher Monolog, abgeschlossen durch ‘Sind Sie eigentlich privat versichert’? Das sollen Profis sein. ‘Tja, das Knie ist hin’. Das hätte mir auch die Schwester sagen können. Oder mein Tankwart.

Es handelt sich in Ihrem Fall um eine semi-hypo-physiolactitischer-Endolariae. Wir werden operieren müssen. Leider muß ich Sie darauf vorbereiten, daß Sie danach wahrscheinlich nur noch eingeschränkt leistungssportfähig sein werden.

Na toll. Eingeschränkt leistungssportfähig. Das heißt dann ja wohl, daß ich zukünftig eine Haushalthilfe brauche, die mir beim umschalten an der Fernbedienung hilft. Badenwannenlift, Gehwagen. Alles klar. Klasse gemacht, Zwerg. Ich beschließe, daß es auch mal wieder Zeit für bessere Nachrichten ist. Sowas wie ‘Der Zwerg ist tot’ oder ‘Der Zwerg wurde eben von einem 40-Tonner angefahren. Wir wissen nicht ob wir ihn durchbringen oder wie er danach aussehen wird !”. Und dann die Trauermiene von diesem Arzt. Lernen die das bereits während des Studiums? Gibt es Fachpraktische Übungen zum Thema Mimik-beim-Überbringen-schlechter-Nachrichten während des Medizinstudiums?

Einer der Ärzte, ein kleines, untrainiertes Wichtelmännchen (bald werde ich wohl auch so aussehen. Ob wir uns die Haushaltshilfe teilen könnten?)  beugt sich zu mir herunter.

Hören Sie, der Anästhesist ist ein guter Freund von mir. Im Moment hat er allerdings ein paar Probleme. Scheidung. Naja, Sie wissen schon. Auf jeden Fall hat er wegen ein paar unverschuldeter Fehler bereits die zweite Abmahnung bekommen. Die nächste wäre die Letzte. Also, was ich Ihnen sagen will – verhalten Sie sich während der ganzen verdammten OP ruhig… Wenn Sie auch nur einmal zucken, kostet Sie das irgendein Körperteil, sagen wir den Unterschenkel. Haben wir uns verstanden?

Sir, Yes, Sir! erwiedere ich respektvoll und werde noch immer salutierend in den OP geschoben.

Die Operation dauert drei Stunden. Eigentlich wenig, wenn bedenkt, daß der Chirurg während dieser Zeit dreimal unterbricht, um der Schwester unter den Rock zu fassen. Einmal verliert er dabei einen Handschuh. Nachdem man eine Stunde lang zusammen gesucht hat, beschließt man, sich einen neuen Handschuh zu besorgen und die Schwester zum Frauenarzt zu schicken.  Wieso ich das alles mitbekommen habe ? Naja, der Anästhesist hat halt Probleme mit seiner Frau und…

Nach der OP werde ich immer noch leicht benommen in mein Krankenzimmer gefahren. Erste Visionen stellen sich ein.

Der bundesdeutsche Fußballgott Franz Beckenbauer betritt den Verkaufsraum eines kleinen Hamburger Bäckerladens, der zu dieser Stunde noch ziemlich leer ist.

“Guten Morgen, die Damen!”

“Sind Sie nicht – Sie sind doch der, der – nein sowas. Sie sind doch der Franz Beckenbauer ?!”

“Nun, das will ich meinen, doch spielt die individuelle Persönlichkeit eine eher untergeordnete Rolle, wichtig ist vielmehr eine geschlossene Mannschaftsleistung wo jeder für den anderen da ist.”

“Also ich kann es immer noch nicht glauben. Der Kaiser, hier bei uns. Eva, Gerhard, kommt doch mal und seht wer hier ist!”

Aus der Backstube dringt undeutliches Gemurmel herüber.

“Was soll der Quatsch EVA ? Lauf mir da jetzt nicht durch das Zusammengefegte, das brauch ich noch für die Rumkugeln!”

“Guck doch mal Gerhard, es ist der Beckenbauer. Was für ein schöner Mann !”

Der Kaiser wird langsam ungeduldig.

“Meine Damen, Sie müssen lernen auch über die volle Spielzeit konstante Leistungen zu bringen. Ich habe mich hier herrlich freigelaufen, stehe in halbrechter Position vor dem Verkaufstresen und warte vergebens auf Ihr Anspiel.”

“Oh, bitte entschuldigen Sie Herr Kaiser, was darf’s denn sein, ein Bauernbrot, Schwarzbrot, Brötchen?”

“Brötchen?! Brötchen sind rund und ein Frühstück dauert 90 Minuten. Nein, ich denke ich sollte den schwarzen Bomber da in der Mitte nehmen !”

“Da habe ich Sie glaube ich nicht richtig verstanden, Sie meinen das Schwarzbrot ?”

“Ja, das dort links auf der Ersatzbank, direkt neben dem Coach”

“Das worauf Sie da zeigen ist aber keine Ersatzbank sondern unsere Eistruhe, das Schwarzbrot ist kein Schwarzbrot sondern  Schokoladeneis und der Coach ist kein Coach sondern unser  Bäckermeister Gerhard !”

“Hmm, gut, war wohl ein Irrtum. Dann zeigen Sie mir bitte das Stammaufgebot”.

“Wenn Sie bitte auf das Regal direkt hinter mir schauen möchten!”

“Etwas ersatzgeschwächt, was ? Das kenn ich noch aus dem Spiel dereinst gegen die Uru’s. Ich hatte vier Stammspieler zu ersetzen gehabt. Den Litti, Rudi, Immel und Auge, die Hälfte der Männer hatte Durchfall und trotzdem -und das können Sie mir jetzt glauben oder nicht- haben sie uns nur 4:1 vom Platz gejagt.”

Allmählich wird der Laden voller. Es bildet sich bereits eine Schlange hinter dem Kaiser.

“Schön, schön, aber welches Brot nehmen wir denn jetzt?”

“Das ist nicht gar so einfach schönes Kind. Zunächst kommt es ja als echter Fremdkörper in die   Mannschaft. Man muß darauf achten, daß es fähig ist sich schnell in die Mannschaft zu integrieren,  sozusagen eine nahtlose Einheit bildet mit..-”

“- Herr Beckenbauer, welches Brot ?”

“Vielleicht das auf dem linken Flügel mit der Rückennummer 2,99 ?”

“Das ist ein Weissbrot, kein Schwarzbrot!”

“Man muß auch fähig sein auf Außenseiter zu setzen, ihre Talente erkennen und am richtigen Platz und zur richtigen Zeit fördern.”

“Also soll ich es Ihnen einpacken ?”

“Ach was einpacken, da wird doch immer ein Riesenwirbel um solche Sachen gemacht. Aber wir sind doch keine verweichlichten Krücken, wir sind durchtrainierte Sportler. Geben Sie ihm ‘ne kurze Massage und dann ab in die Tasche !”

“Ich soll dem Brot eine Massage geben ?”

“Sie haben recht, das scheint übertrieben. Kurz abduschen, das sollte reichen !”

Der Kaiser nimmt das Brot und wendet sich ab um den Laden zu verlassen.

“Aber Herr Beckenbauer, Sie haben doch noch nicht bezahlt !”

“Bezahlen? Bezahlen? Ich soll bezahlen? Sie, ich geb diesem, diesem, ähh.. -“

“- Brot?!”

“Ja, Brot. Also ich geb diesem Brot vielleicht die Chance seines Lebens und Sie sprechen von bezahlen? Ich meine Sie können doch wohl kaum annehmen, daß ich mich gleich hier entscheide und dieses, dieses, ähh-”

“Brot ! Brot, Brot, BROT !”

“Ja, dieses Brot direkt in den Kader aufnehme ohne eine vorherige Testreihe ?!”

“Sie wollen das Brot testen bevor Sie es bezahlen?”

“Genau, jetzt haben Sie’s”

“OK, OK, Herr Beckenbauer, nehmen Sie dieses Brot, trainieren Sie es, benutzen Sie dabei Ihre gefürchtete Zuckebrot-und- Peitsche-Methode, machen Sie einen Star aus diesem Weissbrot aber bitte, bitte verschwinden Sie jetzt !”

Im Hintergrund machen sich die Schlangestehenden bemerkbar:

“Unerhört, der kriegt umsonst Brot. Ja, ja, der liebe Gott scheißt immer auf den größten Haufen !”

“Ich will auch ein Brot umsonst, ich bin Trainer beim TUS Wandsbek. Geben Sie mir ein kostenloses Schwarzbrot und ich mach aus ihm den besten Center der Liga!”

Die Verkäuferin bricht in Tränen aus. Hysterisch fegt sie die restlichen Brote aus den Regalen.

“Foul, Foul, haben Sie das gesehen?”

“Seht mal, Sie trägt überhaupt keine Schienbeinschützer. Nach neuem Reglement ist das überhaupt nicht zulässig, stimmt’s nicht Herr Beckenbauer ?”

“Da haben Sie ganz recht mein Freund, scheinen ja ein ganz scharfer Hund zu sein, wenn ich mal so sagen darf. Sind Sie hier der Unparteiische?”

“Nein, nein, ich bin hier nur Zuschauer aber es erfüllt mich mit einigem Stolz, daß jemand wie Sie meine Talente erkennt. Es ist nämlich in der Tat so, daß ich 1972 mal ein Spiel unseres Lehrerkollegiums gegen das des Walddörfer Gymnasiums leiten durfte und…-”

“Nun, dann werden Sie mir doch sicher recht geben, daß jetzt nur noch ein Platzverweis für Ruhe sorgen kann und weitere Ausschreitungen verhindern würde ?!”

Gerhard, 190 cm groß, breitschultrig, betritt den Verkaufsraum mit einem Backblech voll Rumkugeln.

“Was zum, Teufel ist hier los?”

“Seht nur, ein Hooligan, ein Hooligan. Und was hat er da in der Hand ? Das ist doch…-das sind doch Steine. Achtung, er will werfen. Raus hier!”

Panikartig verläßt die Kundschaft den Laden. Zurück bleiben eine in Tränen aufgelöste Verkäuferin und Gerhard. Gerhard bindet sich die Schürze ab, nimmt seine Jacke vom Haken und schickt sich an den Laden zu verlassen.

“Gerhard, Gerhard, wo gehst Du hin ? Laß mich doch jetzt nicht allein!”

“Geht leider nicht anders, ich muß zum Buchmacher!”

“Zum Buchmacher? Warum?”

“Meinen Fußballtip ändern. Glaubst Du denn immer noch daran, daß die Jungs Weltmeister werden können?”

“Na, schauen ‘mer mal…”

Schweißgebadet wache ich auf. Nur ein Traum. Mein letzter Traum vom Fußball? Wieder eines  Lebenstraumes beraubt ? Naja, man muß das Leben eben so nehmen, wie es kommt. Was für mich zukünftig wohl soviel heißt, wie Chipsvorräte aufbauen, Fernsehzeitschrift abonnieren und einen zweiten Videorecorder für Parallelaufnahmen besorgen.

Bereits 7 Tage nach der Operation werde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Meine Eltern holen mich ab. Sie scheinen besorgt.

Junge, Junge, da wirst Du jetzt wohl etwas kürzer treten müssen.. Pffhhh!

Witziger Typ, mein Vater.

Aber wichtig ist jetzt erstmal, daß Du dich vollkommen auskurierst und schonst. Und um es Dir dabei richtig gemütlich zu machen, haben wir Dier bereits ein paar Tüten Chips und Schokolade nach Hause gebracht!

Mein Weg scheint vorgezeichnet. Fortan werde ich wohl das Leben eines Harry Wynvohrt führen müssen, ständig bemüht, nicht Deutschlands dickster Fernsehzuschauer zu werden. Aber was soll das Jmmern und Klagen. Auf geht’s.

Buuhuhuhuhuuuuuuu….


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