Über Schulpferde

22. November 1990 | Category: Freier Fall

Schulpferde und Fußballmannschaften sind sich gar nicht mal so unähnlich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Genau wie innerhalb einer Fußballmannschaft, eher sogar noch ausgeprägter,  gibt es  bei den Schulpferden ein Beliebtheitsranking. Beim Fußball erfreut sich z.B der Mittelstürmer oft größter Beliebtheit, gilt als Held und Mädchenschwarm, um den sich geheimnisvolle Sagen und Berichte ränken. Zum Beispiel, daß sein Vater eigentlich gräflichen Geblüt’s sei und nur aufgrund von Intrigen und bösen Machenschaften der Hexe Wirrgrid Titel und Ländereien verlor. Dem Linke Außenverteidiger indes wird meist geringere Achtung entgegengebracht, hat doch sein Spiel augescheinlich weniger direkten Einfluß auf das spätere Endergebnis. Der Trainer spricht ihn folgerichtig zumeist auch mit ‘Hey, linker Außenverteidiger…’ an, da er sich dessen Namen nicht einprägen kann. Bei den Schulpferden ist es ganz ähnlich. Auch hier gibt es ein Beliebtheitsranking. Die Bewertung erfolgt durch die den Schulpferden zugeteilten Pflegerinnen. Die Einordnung eines Schulpferdes in der Beliebtheitsskala hängt von einer Vielzahl  Faktoren ab, denen uterschiedliche Bedeutung beigemessen wird. Hier nur eine kleine Auswahl.

Das Pferd ist niedlich 10 Pkt.
Das Pferd hat eine schicke Farbe 6  Pkt.
Das Pferd erinnert an die Kessler Zwillinge -12 Pkt.
Das Pferd hat eine chronische Erkrankung (Mitleidsfaktor !) 4 Pkt.
Das Pferd pubt häufig -5 Pkt.
Das Pferd hat eine erotische Ausstrahlung (älterer-Triebtäter-Faktor) 2 Pkt.
Das Pferd buckelt, schlägt oder beißt -4 Pkt.
Das Pferd ist sehr leichtrittig 8 Pkt.
Das Pferd wälzt sich gerne in der Halle. Egal, ob mit oder ohne Reiter -5 Pkt.

Die jeweilige Einordnung eines Pferdes wird selbst für dem unbeschlagenen Laien sofort beim Bummel durch die Stallungen erkennbar. Auf der einen Seite finden sich da Boxen, die mit allerlei Blumenschmuck verziert- und aufwendig ziselierten Namenschildern versehen sind. Mit Kreide stehen Sprüche wie ‘Mirka ist die beste’ oder ‘I love Mirka. gez.: Franzi.’ auf der Boxentür geschrieben. Auf der anderen Seite dann düstere Boxen. Die Pferde stehen im meterhohen Mist, vor der Box sind einige schlichte Holzkreuze aufgestellt. In der Boxtür selbst ist eine regelmäßige Reihe von Einkerbungen erkennbar, die, wenn man den übereinstimmenden Aussagen der Pflegerinnen glauben mag, durch das  jeweilige Pferd selbst nach jedem gelungenen Abwurf erweitert wird.

Ein weiterer, direkter Indikator für die Beliebtheit eines Schulpferdes ist das Putz- und Sattelzeug. Farbenprächtige Stirnriemen, gekauft vom bescheidenen Taschengeld der Pflegerinnen, zieren die Reithalfter auf der einen Seite, auf der anderen finden sich Improvisationen aus geflochtenem Strohband.

Wer nun aber glaubt, sich auf pure Äußerlichkeiten verlassen zu können, um das beste Schulpferd für sich auswählen zu können, sollte zumindest mit der Ausnahme vertraut sein. Ein wichtiger Merksatz lautet ‘wähle ein Pferd niemals nur aufgrund des Namens’. Suggeriert ein Name wie ‘Molly’ doch pure Gemütlichkeit, ein Quentchen Phlegma, einen Spritzer Behäbigkeit, so handelt es sich dabei aber garantiert um einen hektischen Vollblüter mit ausgeprägtem Sinn für’s Buckeln und Steigen. Zur Vertiefung, an dieser Stelle noch eine kurze Namenslehre:

Killer Ruhig, wohlerzogen, ideales Anfängerpferd

Fury Pferd ohne intellekt, kapiert einfach nicht, daß die Halle rechteckig ist. Läuft stets mit weitaufgerissen, staunenden Augen durch die Gegend.

Wildfang Ständig müdes, meist alkoholisiert wirkendes Pferd. Ohne Sporen nicht vorwärts zu bewegen.

Black Beauty Kompakter Schimmel

Tyson Schmächtiger Vollbluttyp mit Buchhalterseele

Muh Eigentlich gar kein richtiges Pferd. Pferd mit Eutern.

Casanova Wallach ohne Manieren.

Blitz Eigentlich eher ‘Kugelblitz’. Kugelrunder sympathischer Kerl im Norbert-Blüm-Typ stehend.

Auf keinem Fall glauben sollte man auch eventuellen unter den Schulreitern eifrig weiterverbreiteten Gerüchten, die über die meisten der Pferde im Umlauf gebracht werden. Ein Beispiel hierzu ist die Geschichte vom wilden ‘Charly’, der früher schon mal den einen oder anderen Reiter totgetreten haben soll und sich auch als ausgesprochener Spare-Ribs-Gourmet geriert, der selbige am liebsten direkt aus der geöffneten Menschenbrust verzehrt. Solche Gerüchte gehören eindeutig ins Reich der Phantasie und werden meistens seitens der dem Pferd fest zugeteilten Stammpflegerin kolportiert, um das Pferd möglichst exklusiv für sich zu behalten. Gerade Pferde, über die die wildesten Geschichten kursieren stellen sich oftmals als die am besten geeigneten für den unbedarften Anfänger heraus. Man sollte sich also nicht schocken lassen und in jedem Fall auf das Pferd bestehen, selbst wenn es eine Kette mit Menschenohren um den Hals trägt und Futtermeister Rolf eigentlich noch nie anders als mit einer blauen Wollmütze mit Ohrenklappen gesehen worden ist.


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