Über Pflegerinnen
22. November 1990 | Category: Freier Fall
Ok, Reiten ist ein gefährlicher Sport.
Ja, Pferde sind manchmal sture, unfähige, in einigen Fällen auch todkranke Tiere.
Man, Turniere kosten wirklich eine ganze Menge Zeit und Geld.
Wirklich, das aktuelle Objekt der allgemeinen Lästerrunden zu sein macht nicht nur Spaß.
Die Pflegerinnen aber sind das helle Licht, die Quell der ewigen Freude, der Balsam für die Seele im immer schneller und hektisch werdenden Wettkampf um die Frage: Wer versorgt seine Pferde mit dem wenigsten Zeitaufwand und hat die meiste Gelegenheit, an den lustigen Lästerrunden teilzunehmen?
Einleitend muß man zugestehen, daß es natürlich nicht nur Pflegerinnen gibt; auch männliche Pfleger sollen schon gesehen worden sein. Von diesen Personen soll hier allerdings nicht die Rede sein, da diese 1.) ihren Job meistens mit mehr Würde erledigen, 2.) äußerst selten vorkommen und 3.) ein schlechtes Vorbild liefern.
Was ist nun eigentlich eine “Pflegerin” ? Die meistangetroffene Art ist weiblichen Geschlechtes (oder könnte es zumindest sein, wenn sie je aus ihren Reithosen herauskommen und die Zöpfe aufdrehen würde) und wird in der frühen Jugend gejagt. Die typische Pflegerin zeichnet sich hernach durch ein allseits anerkanntes geschlechts- und beziehungsloses Leben aus, in dem es außer dem Glück des gottgleich verehrten Pferdebesitzers (und Entscheider über Tod und Leben, sprich: zukünftiger Pflege) keinerlei andere Interessen gibt. Um dies zu erleichtern wurden die Pflegerinnen zumeist als ausgesprochen häßliche Wesen auf diese Welt geschickt; dies scheint interessanterweise eine Doppelfunktion zu erfüllen: 1.) die Möglichkeiten der Pflegerin zum Wechseln des Interessengebietes einzuschränken und 2.) den Pferdebesitzer vor unbedachten Momenten nach Siegesfeiern zu schützen.
Vollständigkeitshalber seien auch noch die anderen Abarten der Spezies erwähnt:
- die verliebte Göre
diese noch verhältnismäßig oft angetroffene Abwandlung der typischen Pflegerin zeichnet sich durch ihre hemmungslose Zuneigung zum Besitzer des Pferdes aus. Übliche Einsatzsgebiete: Turnierbegleitung, fertigmachen des Pferdes während der Besitzer klönt, Wartestellung während der aktiven Reitstunden. Achtung: dieser Typus ist zumeist ungeeignet für alle Arbeiten die in Abwesenheitdes Besitzers durchzuführen sind. - die junge Wilde
dieser sehr selten vorkommende Typ ist vor allem in Großstadtnähe anzutreffen und befindet sich in der Umbruchphase zwischen Jungfrau und Schlampe. Man identifiziert sie am zumeist für pflegerinnenverhältnisse überdurchschnittlich vorteilhaftem Äußerem und einer Absage für Turniereinsätze Samstags nach 23:00 Uhr. Ihre Motivation rührt nur aus Relikten der “Status-Symbol-Pony” – Schulzeit her und ist i.d.R. weder von Sorgfalt noch Ausdauer geprägt. Einsatzgebiete: nur phädophile Dressurreiter oder Ehekrüppel über 28 sollten die Verwendung einplanen; hier ist dann aber zum Wohle des Pferdes nach Möglichkeit eine weitere Pflegerin anderen Typus zuzuziehen. - das Kind
diese noch nicht im voll leistungsfähigen Entwicklungsstadium befindlichen Jung-Pflegerinnen sind sehr zahlreich anzutreffen, leicht zu erlegen und für einfache Hilfsarbeiten gut einzusetzen. Es sollte ihnen aus humanitären Gründen kein zu schwerer Einsatz zugemutet werden, so ist z.B. nach 4 Stunden Ausmisten eine Pause einzuplanen. Ebenso muß je nach individueller Entwicklung kritisch die Frage gestellt werden, ob z.B. die Armlänge für einen ordentliche Putzeinsatz als ausreichend angesehen werden kann. Von diesen Mängeln einmal abgesehen bietet sich ein Einsatz schon wegen der leichten Verfügbarkeit natürlich geradezu an: es sollte hier insbesondere an eine Unterstützung der Hauptpflegerin (z.B. bei Zurverfügungstellung an einen anderen Mitreiter) sowie den Aufbau von geeignetem Nahwuchs gedacht werden. - die reife Pflegerin
hierunter werden alle nicht mehr klar als Kind oder Mädchen zu klassifizierenden Exemplare verstanden. Diese in der Regel bisher nicht an einen Einsatz als Pflegerin gewöhnten Frauen müßen heutzutage zunächst einer außerordentlich aufwendigen Umerziehung unterworfen werden. So sind sie beispielsweise nicht bereit, auf Zuruf das gesamte Sattelzeug einer intensiven Pflege zu unterziehen während der Besitzer in der naheliegenden Kneipe Skat mit seinen Kumpanen spielt. Wenn sie ihre Zeit überhaupt der Pflege widmen dann nur, um schneller zu ihrem eigentlichen Ziel, nämlich einem festen Verhältnis mit dem Besitzer, zu gelangen. Diese Motivation wird häufig von Belanglosigkeiten wie einem schnellen Griff an den Hintern in der Sattelkammer mit anschließender gemeinsamer Nacht oder dem vermeintlichen finanziellen Wohlstand des Besitzers getragen. Als allgemeine Faustregel kann man sagen, daß dieser Typus zwar für einigen Spaß zu sorgen vermag, aber als Pflegerin wie als Lebenspartnerin insgesamt als nicht Einsatzfähig angesehen werden muß - die abgezockte Sau.
ACHTUNG: diese Abart ist bewaffnet und gefährlich. Man nähere sich ihr keinesfalls und laße auch keinen Kontakt zu den sonstigen Pflegerinnen zu. Per Beschluß wurde diese Kategorie zum Einsatz als Feuerholz, Schwimmboje oder Stahlträger freigegeben. Für jedes nachweislich aus dem Sport entfernte Exemplar gewährt die VPPB (Vereinigung Pflegegewährender Pferde-Besitzer) einen Gratismonat “Rundum-Service” inkl. Turnier-begleitung. Entsprechend ist höchste Vorsicht geboten. Die abgezockte Sau erkennt man schwer; sie kann sich erfolgreich als Pflegerin jeden anderen Typus ausgeben und in dieser Rolle mitunter jahrelang unerkannt ihr Unwesen treiben. Nachfolgend einige Fälle aus der Praxis:- im Raum Hannover wurde ein Fall aktenkundig, wo die Pflegerin hinter dem Rücken des Besitzers über Monate das Putzzeug an eine andere Besitzer-Person auslieh und die dafür erhaltenen Vergünstigungen (Münzen, Wurzeln etc.) nicht dem Besitzer übergab
- aus Kassel hört man von einer Pflegerin, die angeblich entgegen der getroffenen Absprachen ein Pferd mehrmals nicht 3x täglich (vor und nach der Schule sowie Abends) geputzt und 60 Minuten geführt haben soll und dies mit Schulaufgaben begründete.
- in Elmshorn -übrigens ansonsten einer Hochburg der Pflegerinnenausbildung- wurde dem Besitzer auf Vorhaltungen hinsichtlich der Qualität der durchgeführten Pflegemaßnahmen an je 4 Spring- und Dressursätteln frech geantwortet, die sechs von der Kritik betroffenen Sättel seien ja garnicht seiner Ausstattung zuzurechnen sondern vielmehr von anderen Personen während ihrer Putzaktion einfach hinzugehängt worden und deswegen habe sie es mit der Pflege angesichts ihrer schweren Erkältung mit 39,8 Grad Fieber nicht mehr sooo genau genommen. Fraglos wurde sie mit einer Frist von 3 Minuten zur Verfügbarkeit einer neuen Pflegerin gefeuert.
- aus dem Hamburger Rehagen wurde ein Fall bekannt, bei dem eine organisierte Gruppe von Pflegerinnen (hier ist es unter den Besitzern üblich, bei Notständen die Pflegerinnen kurzfristig zu wechseln) sich Absprach und gesammelt zu einer Turnierveranstaltung nicht zur Verfügung stand mit fadenscheinigen Ausreden wie “muß Arbeiten” oder “meine Mutter ist gestern gestorben” und “komplizierter Armbruch”. Dieses Vergehen wurde von den versammelten Besitzern selbstverständlich durch drakonische Maßnahmen wie Brechen des anderen Arms, Töten des Vaters oder ähnlichem bestraft; schließlich hatte man ja fast die Pferde selber putzen und satteln müßen (es konnten in letzte Sekunde einige herumziehende Schulmädchen gefangen und angelernt werden. Hierbei kamen erfreulicherweise nur weniger als 10% ums Leben)
- Freunde, Verwandte und Partner
immer wieder gern genommen für Dienstleistungen der benötigten Art. Ihr Einsatz sollte vom Gedanken an zukünftige Geburtstage und Weihnachtsfeste geprägt werden: vorsichtiger, höflicher Umgang ist oberstes Gebot. Nur als Aushilfskräfte einsetzen!
Wofür kann man eine Pflegerin den nun eigentlich gebrauchen ? Kurz gesagt: für alles. Kein Weg ist ihr zu weit, keine Arbeit zu hart, kein Aufgabe zu schwer. Eine gute, geschulte Pflegerin reagiert, neben ihren alltägliche Pflichten, bereits auf leisteste Andeutungen. Die Art und Weise der Kommandoübermittlung zur Pflegerin differiert natürlich; die Grundfunktionen sind immer gleich:
- “Wenn morgen die Sonne scheint werde ich ausreiten”
Die gute Pflegerin hört stündlich den Wetterbericht, bereitet Pferd und Zubehör ggf. bereits Stunden vor dem geplanten Termin auf das sorgfältigste vor und hält einen fertigen Picknickkorb bereit. - “Heute muß aber mal ordentlich geputzt werden”
Statt der üblichen 30-minütigen Pferdepflege werden zumindest eineinhalb Stunden intensivster Pflege aufgewendet. Der am Pferdewohl interessierte Besitzer erinnert seine Pflegerin mindestens alle drei Tage auf diese Weise an die ihr obliegende Sorgfaltspflicht. - “Geh bitte sorgfältiger mit dem Sattel um”
Die Pflegerin installiert eine Klimaanlage in der Sattelkammer. - “Bitte reite mein Pferd trocken”
- “15 Minuten vor Prüfungsbeginn muß das Pferd fertig sein”
- “Heute benötige ich Stollen für den Parcours”
“Morgen kann ich nicht kommen, bitte longiere doch die Pferde”
Die Pflegerin tut wie ihr geheißen mit einem versonnenen Lächeln.
Das eine Pflegerin damit also zur Grundausstattung eines jeden Reiters und Pferdebesitzers gehört dürfte hiermit wohl mehr als deutlich gemacht worden sein; unverständlicherweise sind Pflegerinnen aber noch kein Bestandteil der in den diversen Reitsportfachgeschäften erhältlichen Waren. Wie kann der Anfänger nun zu einer Pflegerin gelangen?
Zunächst sei hier noch einmal wiederholt: es handelt sich größtenteils um junge Mädchen. Aufgrund von Geschlecht und Alter also naturgemäß außerordentlich neugierig veranlagt kann selbst der Laie ganze Rudel dieser überaus nützlichen Exemplare leicht lokalisieren, ja ist es für den geneigten Pferdebesitzer meistens überhaupt nicht notwendig, aktiv auf die Jagd zu gehen; die echte Pflegerin kommt zu ihm. Ja, obschon dieser Gedanke dem modernen und an Entbehrungen gewöhnten Mann (und wieviel mehr wohl der modernen und an entbehrende Männer gewöhnten Frau) überaus neu und ungewohnt erscheinen mag, die Pflegerin kommt zu ihm. Wenn dies einmal nicht der Fall sein sollte kann immer noch auf die diversen flehenden Aushänge am schwarzen Brett eines jeden Reitstalles zurückgegriffen werden: “Bite bitte, nimm mich in Deine Dienste, ich will auch nur pflegen, pflegen.”. Ungeübte Pflegerinnen wählen mitunter sogar den Weg einer Zeitungsanzeige. Man sieht, ein schlechtes Gewissen braucht also nur zu haben, wer keine Pflegerin sein eigen nennt.
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