Texasrangers

22. November 1990 | Category: Freier Fall

Es muß irgendwann im Herbst ’91 gewesen sein. Ein Herbst, der die Melancholie vergangener Sommerfreuden durch ein überreiches Angebot in der Sonne glitzernder Farbnuancen vergessen machen wollte. Es muß der Herbst ’91 gewesen sein, denn ich erinnere mich noch, daß, als ich sie sah, ich gerade mit dem Gedanken beschäftigt war, daß dieser Herbst scheinbar die Melancholie vergangener Sommerfreuden  durch ein überreiches Angebot an in der Sonne glitzernder Farbnuancen vergessen machen will. Sie war groß, mindestens 175 cm groß. Ihr blondes Haar harmonierte auf eine irgendwie unbeabsichtigt wirkende Art mit den Farben des Herbstes, die, wie ich vielleicht bereits erwähnte, dieses Jahr besonders nuancenreich waren. Auf jeden Fall hab’ ich sie angesprochen, wobei ich sicher bin, daß, würde man sie selbst fragen, sie es eher als ‘angestaunt’ bezeichnen würde. Retrospektiv betrachtet stellen sich die  meisten Dinge jedoch ein wenig entkrampfter dar und so bleibe ich bei der Variante, ich hätte sie angesprochen. Sie hieß Annika und mittels gewaltiger Willensanstrengung konnte ich gerade noch das mir auf der Zunge liegende ‘Willst Du mit mir schlafen ?’ wie ein ‘Darf ich Dier ein wenig Gesellschaft leisten ?’ klingen lassen. Sie musterte mich von Kopf bis Fuß und damit nicht genug, auch noch von Hand zu Hand, sozusagen die Spannweite prüfend. Sie war eine Traumfrau, und sie hatte das Recht dazu. Ich durfte verweilen, setzte mich an ihren Tisch und begann zu plaudern. Vielleicht sollte ich erwähnen, daß das ganze im Biergarten eines wunderschön an einem See gelegenen Lokal’s stattgefunden hat, aber eigentlich ist das eher unwichtig. Denn diese Geschichte handelt von der Liebe mein Freund, der Liebe und nicht von irgendwelchen Lokalen oder nuancenreichen Farbschattierungen, die irgendein dahergelaufener Herbst aufbietet, wie um die Melancholie vergangener Sommerfreuden uw. usw.

Annika hatte irgendwie dieses gewisse Etwas. Etwas, daß alle Frauen, die mir in einem scheinbar vorherigen Leben wichtig waren, nunmehr unwichtig erscheinen lies. Nehmen wir zum Besipiel Miß Ellie. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt hätte ich nicht einmal mehr sagen können, wer Miß Ellie war. Keine Ahnung. Ich war verliebt.

Schnell hatten wir auch ein gemeinsames Thema gefunden. Mein Gott, wie lange dauert sowas sonst immer. Ich erinnere mich z.B. noch gut an den Polizisten, der mich mit ca. 100 Km/h auf der Poppenbüttler Landstraße gestellt hatte und zu dem ich selbst nach halbstündigem Debattieren einfach keinen Draht finden konnte. Aber mit Annika ging dies ganz mühelos. Reiten, das war ihr Stichwort. Sie selbst sei begeisterte Reiterin, hätte gar ein eigenes Pferd, einen 11 jährigen Westfalen, der auf den Namen Lollapalooza getauft sei. Schon damals hätte mir eigentlich alles klar sein sollen. Ich hätte einfach die Rechnung bezahlen und mich verabschieden sollen. Doch die Liebe macht nicht nur blind, sie macht auch taub. Und so sagte ich mir, ‘Lollapalooza’, ein exotischer Name für das Pferd einer ungewöhnlichen Frau. Einer ungewöhnlich schönen Frau. Doch eigentlich heißen Pferde gewöhnlich ‘Weltmeyer’, ‘Landfürst’, ‘Flügeladjutant’ oder so ähnlich, aber niemals ‘Lollapalooza’. Vielleicht wollte ich der Wahrheit auch nur einfach nicht ins Auge sehen, vielleicht mich nicht verabschieden müssen von dem Bild Annika’s als weißverschleierte Braut, das ich bereits in meinem Kopfe trug. Wie dem auch sei, zuviel Zeit und Schmerz sind vergangen seitdem, um sich noch an jeden Gedanken von damals zu erinnern. ‘Hast Du morgen Zeit ?’ fragte ich sie. Ihr ‘Wozu ?’ verdiente eigentlich nur eine angemessene Antwort. Sie meinen Eltern vorstellen, Verlobung feiern, heiraten… Aber wir verabredeten uns nur zum gemeinsamen Ausreiten. Ich sollte um 10.00 Uhr zu einem mir unbekannten Stall kommen mit meinem Al Bundy. Zum Abschied hauchte sie mir einen Kuß auf die Wange, der mich noch 2 Stunden paralysiert auf meinem Platz sitzen ließ und verschwand in Richtung eines schwarzfarbenen Trans Ams. Ihres Trans Ams ! Doch noch immer ließ irgendwas in mir mein sonst übliches Mißtrauen ersticken. Vermutlich das Auto ihres Bruders.

Nachts träumte ich dann von ihr. Ihre langen, eleganten, noch ein zartes braun des vergangen Sommers bewahrenden Beine schlossen sich mit atemberaubender Eleganz um den Pferdebauch. Sie trug ein  leichtes Reitjackett, etwas wahrhaft elegantes, würdevolles. Mit durch die Morgenfrische zart geröteten Wangen rief sie mir vor jedem Angaloppieren ‘Fuchs tot !’ zu. Ein paar schwarzhäutige Träger folgten uns, so schnell dies ihre Beine zuließen, mit einer Auswahl ihrer Wechselgarderobe. Am Ufer eines kleinen Sees rasteten wir, legten uns gemeinsam in das herbstliche Gras, nuancenreich gefärbt, wie übrigens der ganze Herbst, und unterhielten uns über die Namen unserer zukünftigen Kinder.

Nachts um 4:30 Uhr klingelte mein Wecker. Jetzt hieß es schnell sein. Mein Zeitplan war wahrhaft eng bemessen. 3 Stunden Morgentoilette, Gesichtspeeling etc. 1 Stunde Al auf Hochglanz bringen, den Rest für Fahrzeiten…

Natürlich hatte sich mein guter Al im Mist gewälzt, natürlich stank er, daß es einem die Schuhe auszog und natürlich war er schlechtgelaunt, wie nie zuvor. Doch konnte mich all das nicht mehr aus der inneren Ruhe bringen, die ich Annika zu verdanken hatte. Ich war ein Mann mit einer Zukunft. Einer Zukunft mit Annika. Mein guter Al sah die Sache mal wieder etwas anders. ‘Guck Dir mich an !’, schien er zu sagen ‘Ich mein, ich bin Wallach, aber ich hab’ meinen Spaß dabei. Ich hab’ heute mehr Freunde als früher, als ich mich noch mit den anderen Jungs um die Bräute schlagen mußte. Wälz mich ab und zu im Mist, buckel und beiß ein bißchen und freß ansonsten bis es mir fast die Bauchdecke wegsprengt. Das ist Leben, Mann !’. Manchmal kann Al schon ganz schön widerlich sein. Jedenfalls beachtete ich ihn nicht weiter.

Kurz vor der verabredeten Zeit fand ich den kleinen Reitstall. Von außen betrachtet doch eher verwahrlost zu nennen, aber von innen sicher… – verwahrlost. Auf dem Hof befanden sich ausschließlich Fahrzeuge amerikanischer Hersteller. Manche davon nur noch ausgeschlachtete Autowracks. Ich stieg aus und hörte Al hinten im Anhänger rumpeln. Der alte Trick. Jetzt versucht er wieder von innen die Ladeklappe zu verriegeln, dachte ich noch. Ein junger Mann, bekleidet mit Jeans und Flanellhemd kam aus der Stallgasse.

“Howdy”

“Ähh, guten Morgen. Ich such die Annika.”

“Yeah, die Annie, was ? Die ist im Stall. Ganz nach hinten durchgehen. Heißer Feger, was ? Wham, bam, thank you, mam !”.

“Vielen Dank.”

“You’re welcome !”

Was soll’s, Spinner gibt es halt überall. Noch war ich nicht sonderlich beunruhigt. Doch das konnte ja noch werden. Und es ward. Annika, – oder vielmehr Annie ? – kam mir entgegen. Ich betete zu Gott, daß das, was sie auf dem Kopf trug noch irgendwie zu ihrer Frisur gehören würde, aber kein Wunder, daß sich die Menschen immer mehr von der Religion abwenden, es war ein Stetson, den sie da aufhatte. Jener unglaubliche Typus Westernhut, der schon JR auf so unnachahmliche Weise zum Idioten gemacht hatte.

Eine Fransenjacke, braune Lederhose und Cowboystiefel rundeten das Bild ab, ohne jedoch irgendeine Form der Bewunderung bei mir hervorzurufen. Am liebsten hätte ich mir jetzt zusammen mit Al einen Misthaufen gesucht, mich mit ihm gemeinsam gewälzt und alte Freßgeschichten ausgetauscht.

“Get on your Horse, Cowboy. Ich komm gleich nach.” schlug sie mir vor.

Und das tat sie dann auch. Dabei führte sie ein Pferd an der Hand, das auf keinen Fall Lollapalooza sein konnte. Eine stämmige, großgewachsene Fuchsstute, die ungefähr soviel mit Westernpferden zu tun hatte, wie ein Polizist mit Straftatenaufklärung.

“Darf ich vorstellen: Lollapalooza !” sagte sie stolz.

Hektisch blickte ich mich um. Irgenwo mußte hier doch die versteckte Kamera installiert sein. Gleich würde Harald Schmidt aus seinem Versteck treten und mich erlösen. Aber niemand kam. Annika stieg auf den Nietenbewehrten Westernsattel. Sie brauchte einige Minuten, um die ‘korrekte Haltung’ einzunehmen, wie sie mir erklärte. Das Ergebnis sah dann verblüffend ähnlich wie meine Fernsehsesselhaltung aus, für die ich Zuhause höchstens 5 Sekunden benötige. Zusammenfallen, Füße nach vorn und Schultern hängen lassen. Alles an diesem ‘korrekten Sitz’ schien darauf abzuzielen, den Reiter auf einen unansehnlichen Haufen Elend zu reduzieren. Annika gelang dies optimal. Und so ritten wir dann auch vom Hof. Ich, gerade aufgerichtet, mit dem stolz voranschreitenden Al, begleitet von einem zusammengekauerten Muttchen auf einem dicken Wagenpferd. Unterwegs wollte Annika rasten, sich ins Gras legen und sich mit mir über die Namen unserer zukünftigen Kinder unterhalten. ‘John’ oder ‘Pamela’ lauteten ihre Vorschläge. Al schüttelte sich vor Lachen. Blitzschnell erkannte ich die Gelegenheit, deutete auf den immer noch vibrierenden Al, murmelte etwas von ‘wahrscheinlich eine Kolik. Ich muß los !’ und sprang auf’s Pferd. Nach circa einem Kilometer im gestrecktem Galopp über freies Feld sah ich mich um. Auch Annika saß wieder auf ihrem Pferd. Wunderschön sah es aus, wie sie alleine in den Sonnenaufgang hineinritt. Eine unter dem Cowboyhut herausragende blonde Haarsträhne flatterte in der leichten Morgenbrise und harmonierte auf eine irgendwie unbeabsichtigt wirkende Art mit den Farben des Herbstes, die dieses Jahr besonders nuancenreich waren, so als wollten sie die Melancholie vergangener Sommerfreuden……


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