Spanische Inquisition

22. November 1990 | Category: Freier Fall

Beim Fußball, beim Skispringen, beim Autorennen eigentlich in jeder leistungsmäßig betriebenen Sportart kennt man es kaum anders. Die selektive Überprüfung von Mensch und Material auf die Verwendung unerlaubter Hilfsmittel bzw. Arzneien. Untersucht werden sowohl Sportgerät und Sporttreibender mit unterschiedlichem Ergebnis. Mal ist das Sportgerät gedopt, mal der Sportler, meistens beide, selten keiner. Auch beim Reitsport sind solcherart Prüfungen bekannt und werden nicht nur auf den internationalen Turnieren, das sind die aus der Fernsehübertragung, durchgeführt sondern auch auf jedem noch so kleinen ländlichen Turnier, selbst wenn die Hindernisse nur mit Kreide auf den Boden gemalt worden sind. Die Auswahl der zu untersuchenden Teilnehmer erfolgt im Losverfahren, also ungefähr in der Art, daß einer der Turnierrichter sagt ‘die Type da mag ich aber gar nicht. Los geht’s !’

Während eines Turnieres in Ahrensfelde befand ich mich genau in dieser Situation. Ich hatte gerade eine Traumrunde hingelegt, lag zur Zeit in Führung, hatte es wohl aber beim Einreiten an den korrekten Ehrenbezeugungen gegenüber den Richtern mangeln lassen. Mein ‘Beste Gesundheit für euch und eure Familien, auf daß der Glückstern ewig über eurem Hause stehenbleibe, Ihr reich beschenkt werdet durch’s Leben und ewige Gesundheit euch beschieden sei – vergelt’s euch Gott Ihr hohen Herren !’ war wohl etwas zu leise dahingeflüstert. Wie dem auch sei, einer der Richter kam nun also auf mich zu.

“Runter vom Pferd – Kontrolle ! Sie haben das Recht zu schweigen bzw. Ihren Ausbilder hinzuzuziehen. Alles was Sie jetzt sagen, kann bei der Siegerehrung gegen Sie verwendet werden. !”

So muß es bei der Bundeswehr sein, schießt es mit durch den Kopf. Mein Gott, ich bin ja halb nackt. Meine Hemdsärmel sind unterhalb der Jacket-Ärmel aufgekrempelt. Hoffentlich merkt er das nicht.

“Und wie Sie schon aussehen. Sie sind ja halb nackt Mann !”.

Schamesröte steigt mir ins Gesicht. Recht hat der Mann. Und mit meinen Stiefeln bin ich auch gerade durch eine Pfütze gelaufen ohne sie danach wieder gründlich abzulecken.

“Und die Stiefel. So eine Sauerei. Hatten wohl keine gute Kinderstube, was ? Sie wiederholen mir jetzt dreimal nacheinander Meine-Eltern-sind-disziplinlose-Linke,-die-nichts-von-Kindeserziehung-verstehen !'”.

“Das sag’ ich nicht !” bricht der renitente Totalverweigerer in mir durch.

“OK, das bedeutet mindestens ein halbes Jahr Turniersperre und eine saftige Geldbuße. Aber das klären wir hinterher. Mal sehen, was wir noch so finden. Machen Sie mal die Trense ab !”

Für die Zäumung eines Pferdes gibt es verschiedene Varianten, deren Zulässigkeit in Abhängigkeit zur gerittenen Prüfung, der jeweils vorherrschenden Windrichtung und dem Alter der jüngsten Tochter des Ansagers steht. Hat der Ansager, das ist der Herr, der Pferd und Reiter beim Einreiten in den Parcous vorstellt (etwa in der Art: ‘Und dieser häßliche Fraggle, der dort einreitet hat sowieso keine Chance. Der Name des Pferdes ist deshalb unerheblich, kann aber bei Bedarf im Schlachthof nachgefragt werden!’), keine Tochter, muß ohne Zaum geritten werden. Es gibt Zäumungen, die ohne Gebißstücke auskommen, z.B. das Pellhem oder aber traditionelle Zäumungen mit einem Gebißstück. Bei letztgenannten wiederum ist die erlaubte Dicke und die Materialart durch besondere Bestimmungen vorgegeben. Kurzum, wenn Sie nicht über fundierte wissenschaftliche Grundkenntnisse verfügen, die ihnen eine Oberflächenbeschichtungsanalyse ebenso ermöglichen wie die genaue Bestimmung der Herstellungslandes und des genauen Durchmesses, gemessen an der dicksten Stelle, sind sie dazu verurteilt, sich im Graubereich möglicher Illegalität zu bewegen.

“Tja, das Gebiß ist genau 0,7 mm zu dünn. Das hat Konsequenzen, mein Lieber ! Ich fürchte, fürchte, daß wir Sie da auf Lebenszeit…”

Erinnerungen an Michael Schumacher werden wach. Wurde nicht auch er wegen eines zu dünnen Bodenbrettes an seinem Wagen disqualifiziert. Ein Brett, daß wahrscheinlich durch einen Dreher in Runde 23 abgeschliffen worden war. Konnte das auch bei mir der Fall sein. Das Pferd kaut vor einem besonders hohen Sprung nervös auf dem Gebiß herum und schwupps, 0,7 mm dünner. Ein Irrtum, ein Skandal, aber was soll’s, Richter haben immer recht, auch wenn sie Idioten sind. Nur das dieser Idiot mir irgendwie bekannt vorkommt. Wenn ich mich doch bloß erinnern könnte. Herr Hintz ! Das ist es. Herr Hintz, der Buchhalter in der Keksfabrik meines Vaters !.

“Sagen Sie, sind Sie nicht Herr Hintz, der Buchalter meines Vaters ?”

“-Äh, Berger, Vincent Berger ? Oh ja, der Sohn von Paul Berger, richtig ? Sie haben das aber doch richtig verstanden Herr Berger. Ich mein den kleinen Spaß, den ich mit Ihnen gemacht habe, ha, ha !”

“Ja,Ja, der Spaß mit der Kindererziehung, den unfähigen Linken. Mein Vater wird sich totlachen, ha, ha !”

“Na, da können wir ja vielleicht später noch darüber reden. Jetzt wollen wir doch erstmal den Sieger feiern, nicht wahr ?!”

An diesem Tag habe ich etwas wichtiges gelernt. Reiten ist ein Sport, in dem man ohne Protegee nichts erreichen kann, Turnieruntersuchungen haben die gleiche Wirksamkeit wie die Umweltkonferenz von Rio und Richter sind halt auch nur Menschen.


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