Der Medicus

22. November 1990 | Category: Freier Fall

Nachdem ich mich die letzten 3 Monate lang mehr oder weniger nur auf das Fernsehprogramm konzentriert hatte und dem wahren Leben immer mehr entrückte, mußte ich untragbare psychische Deformationen an mir festzustellen:

Erotische Träume, in denen Miß Elli und Rita Süssmuth nicht unwesentliche Rollen spielten stellten sich ein.

Ich begann mit sämtlichen Managern der Musikbranche zu telefonieren, um eine Wiedervereinigung meiner Band, den Fat-Boys, vorzubereiten.

Erotische Träume, in denen Miss Ellie und Clayton Farlow nicht unwesentliche Rollen spielten stellten sich ein.

Ich behauptete gegenüber meinen Eltern, daß sie nicht meine Eltern sein könnten. Ich wäre ja schließlich ein Schwarzer und würde zu den Fat-Boys gehören…

Erotische Träume, in denen Miß Elli und Jon Ross jr. eine nicht unwesentliche Rolle spielten stellten sich ein.

Ich merkte, daß es an der Zeit für mich war, aus meinem Schneckenhaus auszubrechen. Etwas neues zu beginnen. Zum Besipiel Miß Elli besuchen. Oder eine Kinderhilfsorganisation in Schwarzafrika  gründen und mit anklagendem Gesicht kleine farbige Kinder in die Kamera des Bennetton-Fotografen halten. ‘Mit nur zehn Mark könnten Sie dieses Menschenleben retten’ !’  würde ich vorwurfsvoll anheben. ‘Oder sich ein paar geile Bennetton-Socken kaufen. Die trägt auch Michael Schuhmacher !’ würde der Fotograf erwiedern. Naja, vielleicht besser, wenn ich erstmal zu meinem Hausarzt ginge. Dabei fällt mir ein, warum heißt der Hausarzt eigentlich Hausarzt ? Weil er eigentlich auf die Behandlung von Häusern spezialisiert, also vielmehr ein verkappter Immobilienmakler ist ? Weil er selber ein Haus besitzt ? Müßte er dann nicht aber, um besser seine individuelle, soziale Stellung auszudrücken z.B. ‘320-qm-Einfamilienhaus-mit-Einliegerwohnung-und-Haus-auf-Sylt-Arzt heißen oder so ähnlich ?

Ich geh trotzdem hin. Schließlich ist der Mann ein Freund. Sein Sohn hat früher mal bei uns mitgespielt in der Mannschaft.

“Vincent”, so mein Freund, “Vincent, du mußt mehr Sport treiben !”. Zweifellos, der Satz hat seine guten Seiten. Nehmen wir nur dieses ‘treiben’. Ich meine, da läßt sich was draus machen. ‘treiben’, vielleicht im Sinne von vor-sich-hertreiben oder gar vertreiben und etwas anderes gab es da ja schließlich auch noch. Auch sein nächster Satz blieb noch durchaus aktzeptabel.

“Als Du eben reinkamst, dachte ich, der King wäre auferstanden. Such Dir endlich einen neuen Sport, Junge !”

Daran solls nicht scheitern. Suchen, das kann ich. Schon meine Eltern bewunderten dereinst meine Findigkeit beim Aufspüren von Ostereiern. Besonders in den Süßigkeitsabteilungen der großen Kaufhäuser. Demnach würde es mir doch wohl auch hier gelingen so einen läppischen Sport zu finden. Und verpflichten tut es mich ja zu nichts. Sein nächster Satz war mir auf Anhieb verhaßt. Sowas gibt es einfach. Man hört so einen Satz und weiß, daß ist einer, mit dem wirst du niemals gut Freund, streng dich erst gar nicht an, bringt nichts.

“Spiel doch einfach mal regelmäßig Squash !”.

Da war es raus. Squash !. Schon der Name hört sich so kindisch an. Squash, genau das Geräusch, daß der faustgroße Ochsenfrosch des Nachts verursacht wenn er irrtümlich gegen meine Verandatür hüpft. Ein wahrhaft primitiver Sport, eine listig daherspringende Gummikugel mit einem Katzendarmbespannten Schläger gegen die Wand zu prügeln. Man muß sich das vorstellen, Katzendarm !. Ich müßte unbedingt mal Clarisse, die schwarze Katze meines Nachbarn auf stetiges mitführen ihres Organspenderausweises ansprechen.

“Bedenke nur, dieses kleine, bedeutungslos erscheinende Doument kann vielleicht dutzenden von Schlägern das Leben retten !”.

Ich könnte das ganze vielleicht ja auch nocht etwas ausbauen und ein wenig dramatischer werden.

“Hast Du denn noch nie etwas vom Schutz des ungeborenen Schlägers gehört ? Wie soll wohl so ein armer kleiner Schläger das Licht dieser Welt erschauen, wenn Ihr euch so verbissen an eure Därme klammert. Du, Du kannst retten und in dem Korpus des Schlägers weiterleben !”.

Und Clarisse würde mich anschauen mit ihren glitzernden Katzenaugen, die stets zu sagen scheinen ‘verpiß dich Du Spinner !’ was sicherlich genau auch ihre Meinung zu diesem Thema sein dürfte. Ich wagte mein Mißbehagen zu intonieren.

“Ach weißt Du, Squash, ich käme mir bei jeden Schlag so vor als würde ich einen großen Ochsenfrosch gegen die Wand donnern.”

“Ok, Du hast recht. Ich mag Squash auch nicht so gerne. Muß dabei immer an Spaziergänge in wasserdurchfeuchteten Gummistiefeln denken. Squash, Squash. Wäre wohl auch nicht das ricvhtige für Dein Knie. Aber wie wäre es denn mit Wasserball. Das macht Spaß und entwickelt Kondition !”

Oh ja, konnte ich mir richtig vorstellen. Der Trainer wäre sicherlich so ein Komißwirrkopf mit entschiedenem Auftreten. Wer einmal nicht zum Training kommt ist ein Deserteur, wer sich nach dem Training die Haare trocknet bevor er die Halle verläßt ne Memme und überhaupt, wer nicht so ein Kampftrinker ist, daß sein bloßes herumschwimmen den Einsatz von Chlor im Becken überflüssig macht weil seine Alkoholabsonderungen eh mit allen kleinen Viren und Bakterien aufräumen, gehört auf die Ersatzbank. ‘Ok Jungs, erst die gute Nachricht. Ihr dürft euch jetzt wieder mit 50 Bahnen Freistil auflockern. Die Schlechte, die Beckenheizung ist ausgefallen !’ Nein, nein. Wasserball war nicht. Abgelehnt. Es schien an der Zeit, einen eigenen Vorschlag zu plazieren. Schade das Karate für mich nicht mehr realisierbar war. Das erste Mal als ich es probierte erteilte man mir sofort lebenslanges Hausverbot. Nie vergesse ich, wie mein mir zugewiesene Trainingspartner mit wildem Geheul auf mich zustürzte. Hätte ich nicht in letzter Sekunde meine Gaspistole aus dem Kimono fingern und ihm ne satte Ladung CS2-Gas ins Gesicht ballern können, ich weiss nicht wie der Kampf ausgegangen wäre. Das Geheul meines Gegners ging schlagartig in ein Wimmern über, was ihm eigentlich ganz hübsch stand. Mein Trainer erachtete es trotzdem für notwendig mich gehörig zu maßregeln. So ein Spinner. Der Typ hat mich doch schließlich angegriffen und nicht ich ihn. Wie sollte ich mich da denn sonst verteidigen. Mit diesen dürftigen Griffchen und Drehungen vielleicht ?

“Was ist mit Skifahren ?” lautet deshalb mein Vorschlag

“Was soll denn das. Wir haben Sommer. Du willst Dich nur drücken !”

Mein Gott, muß dieser Typ, Freund wäre jetzt wirklich zuviel gesagt, denn so strenge K.O.-Kriterien anlegen. Skifahren wäre es echt gewesen. Natürlich hätte man sich den Sommer über nur vorbereiten und nicht fahren können. Täglich hätte ich das Trainingspensum gesteigert. Erst ein Jagertee, dann zwei, dann drei…

“Rudern ?” fragt dieser abgefeimte Sadist

Stell ich mir toll vor. Ich paddel da so vor mich hin. Vor mir auf der Bank sitzt die tolle Arbeitskollegin, die ich zur Kahnfahrt eingeladen habe und füttert die uns attakierenden Schwäne mit Leckereien aus unserem Picknickpaket. Als der letzte Krumen verteilt ist formieren sie sich in militärischer Anordnung. Der Geschwaderführer hebt seinen linken Flügel zum Zeichen des Angriffes. Unter der Achsel trägt er eine Tätowierung… Ich lehne ab. Rudern fällt aus.

“Reiten ?”

Nie. So ein Memmensport. Ist doch nur etwas für Ballettänzer. Von einem Pferd durch die Gegend geschaukelt zu werden hat doch nichts mit Sport zu tun. Was sollen solche Vorschläge. Und das soll ein Freund sein, das ich nicht lache. Ein widerlicher Verräter ist das, aufgeblasener Fatzke, Wichtigtuer.

“Denk nur an die vielen hübschen Mädchen, die diesen Sport betreiben. Wenig Männer, also kaum Konkurenz. Das muß doch ein echter Männertraum sein. Und die Mädchen tragen enge Reithosen, das sieht fast aus, als wären sie nackt. !”

Naja, reiten hört sich vielleicht doch gar nicht so schlecht an.

“Und durch die rythmischen, schwungvollen Pferdebewegungen gibt es auch unter dem weitesten Pullover keine Überraschungen mehr. Davon, was Reiten für die Beweglichkeit und Ausdauer tut, will ich hier noch gar nichts sagen.”

“Sexist, Macho. Wiederlich !” entgegne ich, sehe mich aber bereits mit Miß Elli in den Sonnenuntergang galloppieren. “Kannst Du mir einen Stall empfehlen ?”.


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