Al gibt heut ‘ne Party !

22. November 1990 | Category: Freier Fall

Die Welt um mich herum versinkt. Naßkalter Schlamm bahnt sich seinen Weg durch meine Hemdsärmel nach oben in Richtung Achselhöhlen. Meine Beine fühlen sich an wie einzementiert. Je mehr ich versuche mich zu befreien, desto tiefer versinke ich. Ich spüre Panik aufsteigen, die sich in Form eines heißkalten Schmerzes in der Herzgegend bemerkbar macht. Ich muß mich unter Kontrolle kriegen, wenn ich das hier überleben will, muß endlich anfangen wieder klar zu denken. Besser. Der Herzschlag normalisiert sich wieder. Umso deutlicher spüre ich den Sauerstoffmangel. Mittlerweile ist mein Gesicht fast gänzlich unter Wasser. Nochmal tief Luft holen. Oh, Elexier des Lebens, selten war ich mir Deiner Süße so bewußt. Wenn ich doch bloß meinen verdammten rechten Arm freikriegte. Vielleicht könnte ich Gevatter Tod noch einmal von der Schippe springen. Quälend langsam bewegt sich mein Arm durch den moorigen Schlamm in Richtung Oberfläche. Mehr tastend als sehend bekomme ich halt an etwas, das sich wie Reitstiefel anfühlt. Mit letzter Kraft ziehe ich meinen Oberkörper aus dem Schlammloch, das der Turnierveranstalter euphemistisch ‘Wassergraben’ genannt hat. Während um mich herum schallendes Gelächter ausbricht, versuche ich die letzten Augenblicke zu rekonstruieren.

OK. Vor mir der große Wassergraben. Man, was für ein Schlammloch ! Wenn da heut’ noch einer reinfällt, dann gibt’s ein Fest. Heujeujeu. Ich lach mich kaputt, allein schon die Vorstellung… Wenn’s jemanden trifft, dann natürlich Anja S. Die hat immer so’n Glück . Die landet bestimmt mitten drin. Mensch, ich lach mich kaputt. Nur gut das Al so ein braver Kerl ist…- Al ? Al ? Wo ist er denn ? Oh mein Gott, wo ist er denn ?.  Wieso wird der Boden so schnell größer. Und was ist das für ein Schlmhmhmhmh…..

Schlagartig ist mir alles klar. Von Kopf bis Fuß überzieht mich eine braunschwarze Schlammkruste. Der Absurdität der Ereignisse angemessene Assoziationen schießen mir durch den Kopf.

‘Drei Kugeln Vanille. Und das ganze bitte als Eisneger mit Schokosoße, Frau Lange !’

Ach, der kleine Michael. Wie könnte ich ihn vergessen. Hat bestimmt eigene Probleme, so wie der aussieht. Vor allem wahrscheinlich figürlicher Art, wenn er den ersten Stork-Riesen immer noch völlig unbeherrscht aus der Tüte fingert, um ihn sofort zu essen. Trotzdem würd’ ich jetzt gerne mit ihm tauschen. Eigentlich würde ich jetzt mit so ziemlich jedem gerne tauschen. Sogar mit dem Typen aus der Immodium-Akut-Werbung, der auf so penetrant ungezwungen Art mit der Ausrede ‘Neh, aber wenn mein Durchfall wiederkommt…’ auf eine wunderschöne Ballonfahrt mit der sexsüchtigen Lustsklavin verzichtet und sich damit auf einem Schlag als ein Mann outet, der, um ins Fernsehen zu kommen wirklich alles macht und auf Freunde gut verzichten kann. Würde er mit mir tauschen, wäre auch sein Durchfall nicht mehr so akut (nur noch Immodium also ?). Könnte ja schließlich keiner mehr unterscheiden, was von dem braunen Zeugs, das dann an ihm kleben würde Schlamm oder Durchfall ist.

Ullrich Wickert. Also mit dem würd’ ich nun vielleicht doch nicht tauschen wollen. OK, ich bin halt eher hetero, aber das ist es nicht allein. Ich bin halt mehr ein lustiger Typ und immer so betroffen durch die Gegend glotzen, so daß man denkt seine nächsten Worte müßten jetzt lauten ‘und so bedaure ich mitteilen zu müssen, daß meine liebe Mutti nach langem schweren Leiden nun von mir gegangen ist. Tschüß Mutti. Gute Reise !’ ist halt nicht mein Fall. Abgesehen davon würde mich dann meine Nase stören, der durchaus Außenseiterchancen bei der Vergabe des Standortes zur Vierschanzentournee eingeräumt werden müssen. Und immer so betroffene Bücher schreiben. ‘Der Ehrliche ist immer der Dumme’ oder so ähnlich. Autor Ullrich Wickert, featured bei Russenmafia oder so. Und das ganze auch noch mit einer Widmung. ‘Das Buch ist meiner lieben Mami gewidmt. Auf das sie sich noch unzählige Stunden daran erfreue. Dein Lauser’. Und auf einmal ist sie tot. Sollte ihm zu denken geben. Aber ich muß mich so langsam wieder meinem Problem zuwenden. Also fassen wir es zusammen. Ich bin naß, friere, bin völlig dreckverschmiert und um mich herum amüsiert sich eine Meute schaulustiger Reiter und Zuschauer. Einige liegen gekrümmt vor Lachen auf dem Boden wie ich unter dem braunen Schleier der meine Augen bedeckt erkennen kann. Scheiße, Al. Was zum Geier sollte das ?. Wieviel Cheeseburger man wohl aus ihm machen könnte. Cheeseburger… Komischer Name eigentlich. Hat man wohl anglifiziert, nachdem sein Erfinder ihn, überzeugt von seiner nahrungstechnischen Unverwendbarkeit, mit den Worten ‘Und Tschüß, Burger !’ in die Toilette verabschiedet hatte. Al ist wirklich ein Verräter. Aber das zahl ich ihm schon noch heim. Mal sehen. Vielleicht wechsle ich ins Distanzreiterfach. Na, Al, wie würde Dir das schmecken. Oder wir werden Westernreiter und ich installiere im Hänger ein Radio, das den ganzen Tag Truck Stop und Gunter Gabriel spielt. Alle schauen mich an. Erwarten jetzt wohl von mir, daß ich irgendwas intelligentes sage. Etwas in der Art von ‘bin wohl ein bißchen groß hingekommen’ oder ‘Al hat vorne dicht gemacht und ließ sich einfach nicht mehr regeln’. Ich könntze natürlich auch einfach etwas witziges sagen, etwas im Stile von ‘Wohl noch nie ‘ne Moorleiche gesehen, was ?’. Würde demonstrieren, daß ich die Sache eigentlich gar nicht so schwer nehme. Damit könnte ich immerhin erreichen fortan nicht als der-Depp-der-mitten-in-den-Wassergraben-gefallen-ist bezeichnet zu werden sondern als der-sympathische-Depp-der-mitten-in-den-Wassergraben-gefallen-ist. Na schön, machen wir uns nichts vor. Ich muß wohl nach Kuba auswandern. Und wenn ich es mehr so auf die Art von Klaus Kinkel machen würde:

Reporter: “Na, das war ja jetzt doch eine ganz schöne Schlappe für die F.D.P. Oder wie sehen sie das, Herr Minister Kinkel ?”

Kinkel:    “Ach wissen Sie, man hat uns schon so oft totgesagt. Und doch haben wir es immer wieder geschafft, die entscheidenden Wahlen zu verlieren. Das heißt doch wohl etwas. Wenn ich auch nicht so genau weiß, was.”

Reporter: “Ist das Ergebnis nicht aber etwas, wie eine Absage an den Parteivorsitzenden Kinkel, der hier vielleicht einen zu sanften Schmusekurs gegenüber der Union eingeschlagen hat ?”

Kinkel:    “Na, nun hören Sie aber auf ! 1,9 Prozent sind ja nun wahrlich kein so schlechtes Ergebnis. Würde man das Komma entfernen, ergäbe das sogar das beste Ergebnis der Partei bei einer Wahl seit ähh-, also ganz schön vielen Jahren. Und überhaupt 1,9 Prozent Mennschen. Das ist nämlich ganz schön viel. Kennen Sie 1,9 Prozent Menschen, häh ? häh ?”

Reporter: “Fakt ist aber doch, daß es sich bei dem Wahlergebnis nun mal um das bisher schlechteste  Abschneiden in ihrer Parteigeschichte handelt.”

Kinkel:    “Also das würde ich so nicht sagen wollen. Nehmen sie zum Besipiel die 9 in unserem Ergebnis. Diesmal steht sie noch hinter dem Komma, aber da steht sie wie ein Versprechen auf eine Zukunft vor dem Komma. Schließlich ist die 9 auch meine Glückszahl. Mit 99 Prozent wurde ich sogar leztesmal als Parteivorsitzender bestätigt. Und dieses eine Prozent, das war der Jürgen, das intrigante Schwein…”

Reporter: “Aber eine 1 steht doch diesmal auch vor dem Komma ?!”

Kinkel:    “Ja wie der Jürgen das nun wieder geschafft hat…, das intrigante Schwein !”

Da hinten läuft Al. Stolz wie ein Spanier. Wahrscheinlich schon voller Vorfreude auf den heutigen Abend, wo er den anderen Jungs im Stall von seiner Superaktion berichten kann. Toller Schuß Al. Mitten ins Schwarze. Der Sattel, den er trägt ist neu. Zweitausendsiebenhundertfünfzig Mark hab ich dafür bezahlt. ‘Das mag zwar auf den ersten Blick viel erscheinen, ist aber eine echte Investition in eine erfolgreiche Zukunft’ hatte mir der Verkäufer versichert. Vielleicht hätte er noch erwähnen sollen, was er unter Erfolg versteht. Lacherfolg, klar, unbestreitbar. Ich darf auf keinen Fall vergessen heute Abend noch seinen Laden anzuzünden. Ich bin ja auch gut getarnt durch meinen Schlammoverall. Also keine Entdeckungsgefahr.

Ein weiterer Gedanke kommt mir. Was, wenn ich jetzt mit theatralischer Geste eine Ohnmacht simulieren würde und scheinbar bewußtlos nach vorne kippte. Das würde spntan die Heiterkeit in Mitgefühl umwandeln. Vielleicht würde man heute Abend auf dem Reiterball sogar mit Wickert’scher Betroffenheitsmiene über den schrecklichen Unfall parlieren anstatt über die Super-Lachparade. Zunächst einmal bedeutete so ein vorgetäuschter Ohnmachtsanfall aber auch, daß ich wieder in das Schlammloch fiele, zur weiteren Behandlung durch die Sanitäter zuerst mit dem Feuerwehrschlauch abgespült werden müßte und dann eventuell gar im Rettungshubschrauber abgeflogen würde. Spätestens seit Rambo III entwickelte ich tiefe Abneigungen gegen Hubschrauber. Teufelswerk. Feind aller Mudschaheddin.. Scheint ein geradezu tierisches Gespür für die Anwesenheit solcher Leute zu haben. Noch ist genug Platz im meinem Kopf für die eine oder andere Vision:

Der Bundeswehrrettungshubschrauber mit mir an Bord schwebt knatternd Richtung Krankenhaus.  Plötzlich ein Aufschrei des Piloten.

“Oh mein Gott, ich kann die Mühle nicht mehr halten. Sie fliegt nach links und ich kann nichts machen. Was zum Teufel ist da los ?”

“Sieh doch, da unten, die Frau mit dem Hund. Da will er hin !” erwiedert der Co-Pilot.

“Oh mein Gott. Du hast recht. Es ist ein-“

“Jaaaa, es ist ein Afghane ! Halt dich fest !”

Tschat, tschat, tschat, tschat ertönt die Maschinengewehrsalve, dann ist es vorbei….

Gut. Also auch kein Ohnmachtsanfall. Verzerrtes Gesicht machen und in die Menge pöbeln wäre noch eine Möglichkeit :

“Jetzt habt Ihr, was Ihr wollt oder ? Das war’s doch, Ihr sensationssüchtigen Schweine. Ih seid Schuld, Ihr alleine. Ach laßt mich doch in Ruhe. Ihr wiedert mich an !”

Besser auch nicht. Verschafft zwar ungeheure Befriedigung ergibt, aber einen zu tiefen Bruch mit allen Beteiligten. Natürlich könnte man sich auch nochmals in das Schlammloch werfen und mit spitzen ‘Peace, Peace’-Schreien den Geist der sechziger neuzubeschwören. Womöglich würde sich die eine oder andere Zuschauerin an ihre Woodstock-Vergangenheit erinnert fühlen und zu mir in den Schlamm springen. Wir könnten uns umarmen und freie Liebe machen. Das Schlammloch zum Zentrum unserer Kommune ‘Antitotalitäres Freiheitscamp’ machen. Oder besser doch nicht. Frauen, die sich an ihre Woodstock-Vergangeheit erinnert fühlen dürften mittlerweile so um die 55 sein und die sexuelle Attraktivität eines Abbé Faria besitzen. Ich sollte einfach erhobenen Hauptes aufstehen, ernst in die Menge schauen und mit beschwörender Stimme auf die Menge einreden:

“Seht her ! Ja, seht alle her ! Bis vor 5 Minuten war ich noch einer von euch. Ich war jung, sah gut aus. Hatte eine große Karriere vor mir. Ich hatte Kinder. Kinder die Morgens zu ihrem Vater ins Bett gekrochen sind um ihm zu sagen ‘Ich hab Dich lieb, Daddy’. Und ich hatte eine Frau. Eine gute Frau, die mir bisweilen das Frühstück ans Bett brachte, nicht ohne ihrer Besorgnis kundzutun ‘Aber iß nicht so viel von dem Speck. Du weißt, daß ist nicht gut für dein Herz !’. Ich hatte all das, wie Ihr. Und jetzt ? Seht mich an ! Nichts ist geblieben. Der Schlamm hat es genommen. Nie wieder wird meine Tochter in die Schule gehen können ohne Spott und Hähme zu ernten. ‘Seht nur, die Tochter der Moorleiche !’. Einen Moment unaufmerksam und schon ist es zerstört. Das Glück ist wankelmütig, Freunde. Denkt immer daran ! Oder wie Priscilla Presley es sagen würde ‘A single moment can change your life !'”.

Und genau das werde ich jetzt machen. Aber erstmal muß ich den Schlamm aus meinem Mund bekommen.

“Pfscheht pffher. Pfscha, pfscheht pfalle pffher…..


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